Shoppen in Pandemie-Zeiten: Wie Livestreams unterstützen können – ein Erfahrungsbericht

Durch Corona erliegt seit inzwischen fast einem Jahr der stationäre Handel nahezu komplett. Gut, wer in diesen Zeiten einen Online-Shop hat. Viele Händler sind in den vergangenen Monaten darum dazu übergegangen, auch diese Spielfläche zu betreten. Doch die Kundenbindung ist eine gänzlich andere. Ein Weg, wie man dennoch authentisch seine Ware an die Verbraucher bringen kann, sind aber sogenannte Live-Shoppings, also Verkaufsevents als Livestreams. Was international schon länger praktiziert wird, fasst nun auch in Deutschland Fuß. Wie auch kleine, junge Online-Unternehmen sich diese Methode zunutze machen können, haben wir in einem Interview mit Louise Härtel herausgefunden.

Unternehmensgründung während der Pandemie

Louise entschied sich Anfang 2020 dazu, tatsächlich den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und einen kleinen Bastelladen zu übernehmen. Doch hat wohl noch niemand damit gerechnet, dass nur wenige Wochen später der stationäre Handel komplett erliegen würde. Denkbar ungünstige Zeiten also für eine Geschäftsgründung. Doch die gelernte Änderungsschneiderin reagierte blitzschnell. Neben dem Stoff- und Bastelladen “Prodyouce” in Radebeul, nahe Dresden, entstand so auch der dazu passende Online-Shop prodyouce.de sowie eine komplette Online-Präsenz auf einschlägigen Plattformen. Alles, um ihren Traum zu verwirklichen.

Diese Entscheidung war keine leichte, denn es gilt online vieles zu beachten. Auch das zweigleisige Fahren zwischen dem Ladengeschäft und dem Online-Shop war definitiv eine Herausforderung. Schnell stimmte einmal der Warenbestand nicht und auch Themen wie z.B. Retouren musste die Jung-Unternehmerin nun im Eilverfahren erlernen. Dennoch bereut sie den Schritt heute keinen Moment mehr. Denn die Entwicklung ihres Shops kann sich sehen lassen. Eines ihrer wichtigsten Werkzeuge auf diesem steinigen Weg war von Anfang an Instagram, vor allem die dort möglichen Livestreams. Wir waren neugierig und wollten gern wissen, wie die App-Funktion zu einem ihrer wichtigsten Absatzkanäle überhaupt werden konnte.

Es begann mit Langeweile: Instagram als Zeitvertreib?

Fragt man Louise danach, wie alles begonnen hat, grinst sie und verrät: “Eigentlich war der Instagram-Kanal zunächst nur Spaß. Ich fühlte mich zu Beginn sehr allein und durfte ja auch noch nicht direkt eröffnen. Meine ersten Kunden habe ich darum über Instagram gefunden.” Diese nahm sie mit auf die abenteuerliche Reise einer Geschäftsgründung in Corona-Zeiten. Sie berichtete auf Instagram über die Umbauarbeiten des übernommenen Ladengeschäfts, präsentierte erste Waren und positionierte sich auch als Inhaberin und Person.

“Mir war es wichtig, gegenüber den großen, etablierten Shops eine individuelle Note ins Spiel zu bringen. Mein Alleinstellungsmerkmal bin nun mal ich und das konnte ich über Instagram meinen Kunden zeigen”, so die 26-Jährige.

Daran anknüpfend probierte die gelernte Änderungsschneiderin sich darin, ihren Kunden auch informierenden Content zu bieten. In kleinen Q&A-Runden als Livestreams beantwortete sie fachkundig Fragen zu thematisch relevanten Dingen wie dem Nähen oder auch dem Plotten. Auch dadurch steigerte sich die Authentizität und das Vertrauen ihrer Kunden in sie. Zudem gelang es ihr auch in den Livestreams, in Interaktion mit ihren potentiellen Käufern zu treten, etwas, das sie durch Corona schmerzlich vermisste.

“Irgendwann begannen dann einige Läden Live-Shoppingevents zu veranstalten in ihren eigenen Online-Shops”, erinnert sich Louise, “doch das war für mich zu aufwendig. Die Idee fand ich aber gut und versuchte sie darum mit Instagram umzusetzen.” Und dieser Plan sollte sich auszahlen.

Shoppen in Livestreams: Wie sieht das Konzept aus?

Prodyouce ist ein Geschäft, welches hauptsächlich Stoffe verkauft. Zusätzliche Steckenpferde sind noch Plotter und entsprechendes Zubehör sowie eine handverlesene Auswahl an Bastelmaterialien. Entsprechend ihrer Hauptzielgruppe – 98% näh-interessierte Frauen, die durchschnittlich im Alter von 30 bis 45 sind – konzentrierte sich Louise zunächste auf eine Liveverkauf von Stoffen. Dazu entwickelte die junge Frau verschiedene Konzepte:

  • Pakete. Hier werden verschiedene zueinander passende Stoffe und z.T. auch Zubehör oder Schnittmuster zusammen gepackt, mit einer Nummer versehen und einem etwas günstigeren Bundle-Preis abgegeben.
  • Meterware. Gerade für Neuheiten von der Messe eine gute Möglichkeit. Hier erhalten die Ballen eine Nummer und die Zuschauer können davon ihre Wunschmenge bestellen. Am Ende erhalten sie als Dankeschön einen Rabatt (z.B. 10%) auf den gesamten Warenkorb.

Anfangs großer Zeitaufwand

Zu Beginn waren die Livestreams noch sehr aufwendig, erinnert sich Louise, und es galt auch einige Hürden zu nehmen. “Wir mussten immer zu zweit sein, einer der moderiert und einer, der sich um die Bestellungen kümmert. Zudem musste vorab auch die ganze Ware vorbereitet, die Pakete gepackt, alles numeriert und ausgepreist werden. Auch das Setting galt es noch auszutüfteln. Wie haben beim ersten Stream bestimmt einen Vorlauf von 1,5 Tagen gebraucht”, berichtet die Inhaberin.

Der Stream an sich dauert dann erfahrungsgemäß zwischen 1 bis 3 Stunden. Doch das Zeitaufwendigste ist die Nachbereitung:

“E-Mails checken und beantworten, die Rechnungen schreiben, neue Kunden anlegen, Zahlungen abgleichen und dann die Bestellungen packen und verschicken – das alles ist sehr zeitintensiv. Es konnte anfangs bis zu 1,5 Wochen dauern, bis wir alles erledigt hatten.”

Ein Grund dafür ist, dass die Live-Events nicht über den Online-Shop laufen und somit alles händisch und individuell abgewickelt wird. Louise ermöglicht ihren Kunden zudem auch, dass sie sich zusätzlich noch weitere Waren aus dem Online-Sortiment dazubestellen und somit Versandkosten sparen können. Eine Service-Leistung, die von den ihren Kunden definitiv geschätzt und gern genutzt wird.

Möglichkeiten entdecken

Inzwischen findet fast alle zwei Wochen ein solches Verkaufsevent via Livestream statt. Louise hat sich auch an neue Zielgruppen – z.B. Bastelinteressenten – herangewagt und über den Livestream so neue Followers generiert. Zudem nutzt sie die Events auch teilweise, um Restposten abzuverkaufen.

Doch egal ob nagelneue Ware oder gut gehütete Lager-Schätze: Wichtig ist immer, dass sie die Produkte ihren Zuschauern ganz in Ruhe und detailliert zeigt. Zu jedem Stoff gibt es ein paar Infos und auch Vorschläge und Tipps, wie sie sich verarbeiten lassen. Fragen werden ebenfalls gern beantwortet. Auch hierzu erntet sie stets positives Feedback.

Die Entwicklung: Was haben die Livestreams gebracht?

Das erklärte Ziel der Livestreams war definitiv zunächst eine Umsatzgenerierung. Der ständig wiederkehrende Lockdown hat ihrem stationären Geschäft immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Konkurrenz im organischen Bereich mit anderen Online-Shops ist zudem sehr hart. Darum nutzte Louise Instagram zum einen zur Markenbildung, entwickelte sich selbst zu einer Art Personal Brand und konnte durch ihre demonstrierte Authentizität ihre Zuschauer zu Followern, Fans und Kunden machen.

“Ein Livestream hat binnen weniger Tage 40 Follower generiert”, erklärt die Inhaberin von Prodyouce. Eine Zahl, die für ein solch junges Unternehmen definitiv ein großer Erfolg ist. Zumal sie aus finanziellen Gründen bisher kaum Werbung für ihre Streams auf Instagram schaltet. Auch die Zuschauerzahlen sind für die momentane Marktposition durchaus positiv zu bewerten. Teilweise klicken sich bis zu 60 Personen gleichzeitig in den Stream und viele schauen ihn auch von Anfang bis Ende durch. Über diese Treue freut sich Louise besonders.

Doch es ist nicht nur der Instagram-Kanal, der von dem Stream profitiert. Auch ihr Online-Shop erfährt stetigen Zuwachs. Mit die häufigste Zugriffsquelle für ihn ist inzwischen die Foto-Plattform. Doch am spannendsten ist wohl, dass die Verkaufszahlen bei Instagram auf Platz 1 stehen. Seit der Eröffnung des Ladengeschäfts im Juni 2020 kam zunächst noch etwa ⅔ der Einnahmen aus dem stationären Handel. Von dem übrigen Drittel ließen sich nur etwa 50 % auf Instagram zurückführen. Doch nach dem 2. Lockdown sieht die Lage gänzlich anders aus.

“Wir machen gerade durch Click&Collect nur etwa 20 % unserer Umsatzes stationär. Die übrigen 80 % erzielen wir online und davon tatsächlich 70 % durch Instagram”, verrät Louise.

Ist-Stand und Zukunftspläne: Wie geht es weiter?

Wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt: Siebzig Prozent Umsatz über Livestreams. Das ist schon definitiv eine Leistung. “Aktuell erhalten wir sehr viel positives Feedback. Die Leute bekommen durch die Streams das Gefühl, vor Ort einkaufen zu können und entrinnen so ein wenig dem Pandemie-Blues”, erzählt Louise. Kein Wunder also, dass sie diesen Kanal weiterführen will. Allerdings stößt sie auch auf Probleme. Je mehr Zuschauer es sind, desto unübersichtlicher wird es.

Darum arbeitet sie aktuell an einem neuen Konzept, indem sie via Livestream nur noch die Waren präsentiert und die Optionen später in den Stories nochmals hochlädt. “Dort finden die Zuschauer dann alle Infos und können bei ihr via E-Mail oder Direkt Message bestellen. So geht nichts mehr verloren.” Bisher wurden vor allem Stoffe, Schnittmuster und Bastelartikel verkauft. Doch Louise plant auch weiter.

“Durch Corona sind aktuell Nähkurse leider kaum realisierbar. Aber ich denke, dass sich hierfür mittels der Livestreams auch eine Lösung finden lässt”, gibt die Jung-Unternehmerin als Ausblick.

Fakt ist, dass sie die Live-Shoppingevents auch weiterhin anbieten möchte und Streams auch nach Ende der Pandemie ein probates Mittel sein werden, ihren Kunden die Möglichkeit zu bieten, auch aus großer Entfernung einen Blick in ihren liebevollen Laden zu werfen. Dieser soll ebenfalls bestehen bleiben, allerdings schwenkt Louise das Augenmerk immer stärker auf den Online-Handel. Hier sieht sie ihre Zukunft – und das auch dank der Livestreams.